Ich bin spät dran. Dieser Blogpost ist auch nicht das erste, was 2019 zu spät abgeliefert wird. Keine Ausreden: Das war alles sehr bewusste Priorisierung. Wie bereits in meinem Jahresrückblick 2019 geschildert, sind meine Prioritäten völlig klar. Jetzt aber ohne weitere Umschweife endlich meine Zusammenfassung des Global Scrum Gathering Wien 2019:
Global Scrum Gathering Wien 2019
Hier einige Eckdaten des Gathering, die die Scrum Alliance gerne bewirbt. Schon ein wenig beeindruckend:
- Das größte Gathering bisher mit über 1000 Teilnehmern
- Mehr als 75 Beiträge in sieben Themenblöcken (von denen ich dieses mal nur 9 besucht habe)
- Zwei motivierende keynotes (Zusammenfassungen unten)
- Open Space Tag mit mehr als 100 Sessions (mehr unten)
- Room of Games (Hab ich nichts von mitgekriegt)
- Monday Mingle in einem Palast (außerhalb der Europäischen Union!)
Mein persönliches Wien Gathering
Da ich selbst am Montag einen Beitrag hatte und mich spontan entschieden habe, einen Folgebeitrag während des Open Space am Dienstag zu veranstalten, ist meine Zusammenfassung deutlich kürzer im Vergleich zum Scrum Gathering London 2018 (das sogar zwei Teile hatte). Hier ist mein Wien-Zeitplan:
Montag | Dienstag – Open Space | Mittwoch |
Eröffnungsrede: Geschäftsideen testen – Alexander Osterwalder | Die Wissenschaftliche Methode, großartige ScrumMaster einzustellen – Pavel DabrytskiRadikale Innovation | |
Vorbereitung meiner eigenen Session (Feinschliff 😉 ) | Vorbereitung meiner Open Space Session | Die Unglaublichen: Product Owner Super Teams – Kim AnteloProduct Ownership |
ScrumMaster werden und gleichzeitig Meister in Politik – Robert KalweitDer Anführer in Dir: Teile Deine Geschichte | Open Space: Nächste Schritte zu den Umfrageergebnissen meines Beitrags von Montag mit einer neugierigen und engagierten Gruppe | Zwei nicht sehr bemerkenswerte Sessions über Team Building und die unaufregende Reise, ein Product Owner zu werden… |
Feedback zu meinem Beitrag sammeln | Wenn ein Agiler Führungskräfte Coach selbst Führungskraft wird – Jeroen MolenaarDer Anführer in Dir: Teile Deine Geschichte | |
Von Arbeitsergebnis (Output) zu Ertrag (Outcome) — Die Weichen auf Veränderung stellen mit Agendashift – Mike Leber Environmental Safety | Abschlussrede: Spaß, Angst und Fokus – Friederike Fabritius |
Eindrücke vom Open Space mit 1000+ Teilnehmern
Ich war noch nie bei einem Open Space dabei oder habe mich aktiv beteiligt. Dieses erste Mal war für mich also ohnehin ein Rekord, aber selbst erfahrene Moderatoren werden sicher eher selten einen Open Space mit so vielen Leuten und so vielen Themen veranstalten. 80-90 Beiträge wurden während der Pitches präsentiert und wurden vom Gathering Team großartig organisiert. Dadurch wurde Tag 2 des Gathering zu einem Tag von der Gemeinschaft für die Gemeinschaft.
Montags-Mingle im Gartenpalais Liechtenstein
Das sogenannte Montags-Mingle, eine Scrum Gathering Tradition, fand dieses mal an einem wirklich eindrucksvollen Ort statt! Nur eine kurze Busfahrt vom Messegelände Messe Wien liegt das Gartenpalais Liechtenstein, das, wie uns bestätigt wurde, nicht Teil der EU ist. Dank Schengen (schätze ich mal) konnten wir trotzdem ohne Passkontrolle eintreten. Eine Feier außerhalb Österreichs, mitten in Wien.
Das Palais, nicht überraschend für Barockpaläste, war opulent. Gold wohin man sah, massive Treppenhäuser, himmelhohe Decken und gigantische Säle. Mir klappte die Kinnlade runter. Der Start in den Abend war super einfach, weil der Palast selbst, als auch die Kunstsammlung im ersten Stock einen tollen Einstieg in Gespräche boten. Imposant, was für einen Reichtum so ein kleines Fürstentum ansammeln kann: Die Kunstsammlung war umwerfend. Visuell war das insgesamt der Teil der Konferenz, der am ehesten im Gedächtnis bleibt. Der eigentliche Inhalt aber, die Beiträge, hallen glücklicherweise noch etwas länger nach:
Global Scrum Gathering Wien Beiträge
Geschäftsideen testen – Alexander Osterwalder
Eröffnungsrede
Alexander Osterwalder hatte die Ehre der Eröffnungsrede und präsentierte ein Thema, dass sicher den meisten Leuten mit ein wenig Erfahrung in unserem Geschäftsfeld bereits bekannt ist: Das Business Model Canvas (Geschäftsmodell-Leinwand). Überraschenderweise war sein Beitrag trotzdem sehr spannend und erkenntnisreich. Spannend, weil er es spannend gemacht hat. Erkenntnisreich, weil er viele Details erklärt hat, die man leicht falsch macht oder in der falschen Reihenfolge angeht, wenn man das Business Model Canvas einfach nur benutzt. Hier ist meine Visualisierung/sketch notes:
ScrumMaster werden und gleichzeitig Meister in Politik – Robert Kalweit
Der Anführer in Dir: Teile Deine Geschichte
Mein erster professioneller Vortrag auf so großer Bühne, war durchaus erfolgreich. Und weil ich nicht viel von Exklusivität halt, sondern Inklusion und Offenheit bevorzuge, teile ich ihn demnächst in einem dedizierten Blogpost.
Von Arbeitsergebnis (Output) zu Ertrag (Outcome) — Die Weichen auf Veränderung stellen mit Agendashift – Mike Leber
Environmental Safety
Ein Beitrag über Agendashift. Agendashift ist ein System für (Unternehmens-)Veränderung. Der Vortrag selbst war intensiv. Aber obwohl der Raum nicht gefüllt war, waren doch einige Teilnehmer abgehängt: Das Modell ist komplex, also wurde jeder Teil von einer praktischen Übung begleitet. Was wir exakt tun sollten, war jedoch nicht jedes mal 100% klar, so dass wir in unserer Gruppe stattdessen über Scrum im Allgemeinen gesprochen haben und wie und wo man am besten startet.
Was mich verwundert ist, dass selbst 2019 (neue?) Systeme für Veränderung immer noch eine große Sache sind. Es gibt bereits viele weithin akzeptierte Modelle für Veränderung, wobei Kotters vermutlich das bekannteste ist. Hier, wie ich denke, dass die beiden sich zueinander verhalten:
Kotter fängt mit dem WARUM hinter der Veränderung an und sein Modell umfasst auch die Menschen (die letztendlich die Veränderung vorantreiben). Natürlich müssen Gefühl der Dringlichkeit vermitteln und Führungskoalition aufbauen zwangsweise vor Discovery und Exploration passieren. Die beiden sind leicht zuzuordnen:
- Discovery > Vision und Strategie entwickeln
Bedürfnisse und Ergebnisse sind die theoretische Grundlage hierfür. - Exploration > Freiwillige einberufen
Da der gesamte Veränderungsprozess von der Führungskoalition lediglich organisiert wird, muss er natürlich im Einsatz getestet werden: Von Leuten, die eben freiwillig die Veränderung oder Teile davon ausprobieren.
Der Zweck ist, Kurzfristige Erfolge sichtbar [zu] machen, während die Führungskoalition Hindernisse aus dem Weg räumt. Mapping und Elaboration sind notwendig, um die Veränderung weiter anzutreiben. Während mehr und mehr Menschen im Unternehmen die Veränderung annehmen, muss die Agenda öffentlich sichtbar bleiben. Elaboration der Veränderung ist ebenfalls zwingend notwendig, bis schließlich die Veränderungen in der (Unternehmens-)Kultur verankert ist.
Für mich besteht der Kernaspekt von Agendashift aus ein paar wenigen (guten, aber nicht neuen!) Empfehlungen für die Führungskoalition:
- Fang mit den Bedürfnissen an (was wir ohnehin tun sollten, da wir ja Simon Sinek’s “Frag immer erst Warum” gelesen haben)
- Einigt Euch auf die Ergebnisse (was eine Sache ist, die ebenfalls jeder Projektmanager, PO, ScrumMaster am Ende einer Unterhaltung tun sollte)
- Macht die Agenda der Veränderung öffentlich sichtbar – der für mich grundlegendste Aspekt von Agendashift, schlicht, weil es bei Kotter nicht explizit erwähnt wird. Ebenfalls ein guter Rat für ScrumMasters: Wie kann man eine Veränderung besser transparent gestalten als mit einem öffentlichen physischen Taskboard an einem guten Platz im Büro?
- Optionen entscheiden, Annahmen testen – Optionen sollten nicht offen im Raum stehen. Wenn es keine Präferenzen in den Teams gibt, entscheidet schnell. Annahmen sollten ohnehin nie die Grundlagen für irgendetwas sein (If you ASSUME, you make an ASS out of U and ME), also testet sie!
Die Wissenschaftliche Methode, großartige ScrumMaster einzustellen – Pavel Dabrytski
Radikale Innovation
Pavel hielt einen mitreißenden Vortrag darüber, großartige ScrumMaster einzustellen (was wirklich nicht leicht ist). Ich stelle fest: Wir sind uns einig. Die Art und Weise, die ich Firmen empfehle, die Leute für diese meine (unsere?) Position suchen, passt exakt auf das, was er hier nun öffentlich dargelegt hat.
Eine grobe Zusammenfassung wäre:
- Bewertungskriterien definieren
- Bewerber anhand dieser Kriterien einstufen
- Nur dem finalen (eventuell gewichteten) Resultat vertrauen und das Bauchgefühl an zweite Stelle setzen
Hier meine sketch notes seines Vortrags:
Die Unglaublichen: Product Owner Super Teams – Kim Antelo
Product Ownership
Ich war nur während der zweiten Hälfte dieser Session anwesend, um die verwirrende (aber beeindruckende) Zusammenarbeit zwischen Product Ownern zu bezeugen. Diverse Teams an ca. einem Dutzend Tischen hatten jeweils ein Projekt, aber alle Projekte waren voneinander abhängig. Ihre POs mussten sich mit den POs der anderen Teams abstimmen, um bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Der Hauptaspekt, den Kim in dieser Session (meines Erachtens) unterstrichen hat ist: Die Art und Weise in der die Arbeit einem agilen Unternehmen organisiert ist, ist (hauptsächlich) über die Product Owner. Diese müssen ihre Backlogs unabhängig voneinander gestalten, und gleichzeitig aufeinander abstimmen, wenn Abstimmung notwendig ist. Diese Abstimmung auf Team-Level stattfinden zu lassen würden die Produktivität massiv beeinträchtigen.
Wenn ein Agiler Führungskräfte Coach selbst Führungskraft wird – Jeroen Molenaar
Der Anführer in Dir: Teile Deine Geschichte
Kurze Anekdote: Ich saß in einem Vortrag und dachte “Verdammt, ist das langweilig.” Kurzer Blick auf’s Telefon und ich musste feststellen, dass das nicht der Vortrag war, den ich eigentlich hören wollte. Das war gar nicht Jeroen Molenaar da vorne!
Daraufhin habe ich die Person neben mir gefragt, ob sich am Zeitplan was geändert hätte. Er antwortete: “Nein, Du bist schon richtig, aber es sind zwei verschiedene 15-Minuten-Sessions.” Dann fügte er hinzu, dass er nur hier wäre, weil sein Vortrag gleich danach käme. Das war also Jeroen Molenaar! Gut gelacht! Ein paar Minuten später, nach dem laufenden Vortrag, fing er dann an, seine Geschichte zu teilen:
Die Moral der Geschichte: Agile Coaching für Führungskräfte ist eine Sache – Führungskraft (und für die Jobs von ein paar bis ein paar Dutzend Leuten verantwortlich) sein, ist eine völlig andere Sache. Das sollten wir immer im Gedächtnis behalten, wenn wir Agile Coaches “unser Ding” machen.
Angesichts der Kürze, war dieser Vortrag sowohl interessant als auch unterhaltsam, insbesondere, weil Jeroen seine Geschichte untermalt hat mit einer anderen, die vor einigen Jahren mal viral ging: Die Geschichte davon, dass die Breite unserer Space shuttles (oder zumindest seiner Booster) ziemlich genau zwei mal so breit ist, wie der durchschnittliche Hintern eines Pferdes im alten Rom. (siehe Global Trends: Facing up to a Changing World).
Fun, Fear and Focus – Friederike Fabritius
Abschlussrede
Eine super Abschlussrede! Nicht ganz so fundamental beeindruckend und interaktiv wie Lyssa Adkins in Dublin 2018, aber trotzdem großartig. Fun, Fear und Focus war eine leicht angepasste Version ihrer gleichnamigen Session bei Google (die mittlerweile öffentlich verfügbar ist, siehe unten, sehr empfehlenswert). Ein paar Notizen, vielleicht als kleine Erinnerungen, die im Arbeitsalltag wertvoll sein könnten:
- Spaß, Angst und Fokus sind die Grundlage für Hochleistung und Innovation.
- Unsere Smartphones sind eine konstante Quelle von Spaß und Angst, aber nicht Fokus
- Auf persönlicher Ebene helfen: Sport, Schlaf und Snacks.
- Und zu guter Letzt: Kauft keine Klamotten, die ihr nicht tragt.
Ein paar Dinge, die notiert habe, um nach der Konferenz mal darüber zu lesen:
Unterm Strich: Frühere Global Scrum Gatherings haben mich mehr inspiriert. Hauptsächlich, weil selbst einen Vortrag zu halten so intensiv war. Sowohl in Bezug auf Vorbereitung als auch durch das Feedback, dass einen über die gesamte Konferenz begleitet (sogar nach der Abschlussrede kamen Leute, die mich erkannt hatten, zu mir und haben mit mir über meine Session geredet). Auch wenn ich weniger mitgenommen habe von diesem Gathering, hoffe ich, dass ich im Gegenschluss mit meinem Beitrag etwas zurückgeben konnte.
Ich würde eine Teilnahme an einem Global Scrum Gathering jedem empfehlen, der sich auch nur entfernt für das Thema Agilität interessiert. Wie relevant die einzelnen Themenblöcke sind ist meines Erachtens nachrangig: Führung, Skalierung, Teamwork sind Herausforderungen in jedem Unternehmen und auf jeder Ebene.Fragen? Anmerkungen oder Kommentare? Tobt Euch unten aus! Wir sehen uns spätestens in Lissabon 2020!