Global Scrum Gathering London 2018 Teil 2 – Führung, Kultur und Skalierung
Mehr als andere Scrum Gatherings zuvor hat sich diese Konferenz auf Kultur und Werte fokussiert. Warum? Meine Vermutung: Die ScrumAlliance hat festgestellt, dass ein Fokus auf Praktiken und individuelle Verhalten tatsächlich hilft, Scrum zur in zahlreichen Teams weltweit verbreiteten und akzeptierten Vorgehensweise zu machen. Dieser Fokus hilft aber nicht, um (zuverlässig und nachhaltig!) ganze Firmen zu verändern. Um das zu erreichen, müssen wir uns auf Kultur und Werte fokussieren und auf die Führungsebene, die beides prägt. Dieser zweite Teil der Global Scrum Gathering 2018 Zusammenfassung dreht sich daher um Führung, um Skalierung agiler Methoden und um Unternehmenskultur. Ich habe die 6 Sessions, die ich zu diesen Themen besucht habe zusammengefasst und um ein paar Einschätzungen und weiterführende Links ergänzt.
Eröffnungsrede: Die Psychologie, eine leistungsstarke Kultur zu formen – Damian Hughes
Bessere ScrumMaster ausbilden
Was für eine Eröffnungsrede! Ich bin immer noch begeistert! Ich war so beschäftigt, mitzudenken, dass ich mir nicht viel merken konnte. Damian Hughes Rede war sowohl fesselnd, mit vielen Aktivitäten, die das Publikum involvierten, als auch inspirierend, mit vielen Konzepten, die vorgestellt und demonstriert wurden. Eine der Aktivitäten war obiges Rätsel – habt Ihr’s schon raus?
Die fünf STEPS eine leistungsstarke Kultur zu formen, sind Einfach (Simple), Denken (Tripwire), Emotion, Praktisch und Geschichten erzählen (Storytelling). Hier ist, was ich zu Punkten drei bis fünf notiert habe:
Emotionen entstehen nicht aus abstrakten Begriffen. Darum sind viele Unternehmenswerte so wenig nachvollziehbar bzw. nachempfindbar: Wenn man Euch bittet, an den Eiffelturm zu denken, wisst ihr, wie er aussieht. Wenn man Euch bittet, an einen Apfel zu denken, wisst ihr sofort, wie er aussieht und schmeckt. Wenn ich hier schreibe „berühmte Beatles Lieder“, habt Ihr sofort die Melodie im Ohr. Das ist, wie Emotionen entstehen. Wenn ich sage „Unser Unternehmen schätzt Gerechtigkeit.“ dann findet Ihr das gut, könnt Euch aber nicht direkt etwas darunter vorstellen.
Die Frage „Wie clever bist Du?“ ist keine sehr praktische Frage. Niemand wird antworten „Nicht so sehr“. Eine viel praktischere Frage, und das sollte der Maßstab für alle Fragen sein, ist „Wie bist Du clever?“. Hier bekommt Ihr sofort verschiedene und viel wertvollere Antworten: Jemand könnte richtig gut mit Zahlen jonglieren können. Andere Leute können extrem gut mit Menschen umgehen. Beide sind auf ihre Art clever.
Dann hat er uns von Pixars „Geheimnis“ des Geschichten erzählens: Sechs einfache Etappen: Es war ein mal… Jeden Tag… Dann eines Tages… Aus diesem Grund… Und aus dem Grund… Bis letzten Endes… Zum Beispiel:
Es war ein mal ein agiler Blog-Autor, der sich schwer tat, Leute zu finden, die seinem Blog folgen. Jeden Tag dachte er über großartige Ideen für Blogeinträge nach, konnte sie aber nicht in ein mitreißendes Format packen. Dann eines Tages hat er das Scrum Gathering London 2018 besucht, wo er eine tolle Eröffnungsrede sah. Aus diesem Grund hat sich seine Art, Geschichten zu erzählen, verbessert. Und aus dem Grund wurden seine Blogeinträge viel aufregender. Bis letzten Endes Leute seinem Blog folgten.
(Hinweis: Folgt meinem Blog oben rechts auf dieser Seite 😉 )
Hier ist eine Playlist, die ich zusammengestellt habe, mit Erläuterungen aller 5 STEPS durch Damian Hughes:
Ich möchte nicht ein Buch bewerben, dass ich noch nicht gelesen habe, aber da der Titel passt, vermute ich, dass die Rede im Grunde die wichtigsten Punkte aus The Barcelona Way behandelte (habe das Buch auch dem Zu-erledigen-Abschnitt meiner Leseliste hinzugefügt). Eine weitere Empfehlung: Folgt Damian Hughes auf Twitter.
https://twitter.com/LiquidThinker/status/1072037653804138497
Eine leistungsstarke agile Organisation bilden – Michael Sahota
Bessere Führungskräfte
„Kultur zu schaffen und zu bewahren ist das einzig wirklich Wichtige, das Anführer tun“ — Edgar Schein
Diese Session war so vollgepackt mit Inhalt, obwohl manches davon Allgemeinplätze waren. Meine Notizen zeigen das: Da ich nicht schnell passende Bilder finde, die das Gesagte unterstreichen, habe ich hauptsächliche die 10 Hauptpunkte mitgeschrieben:
Hier nochmal als Text (zusammen mit dem woran ich mich sonst noch erinnere):
- Fokussiert Euch auf Unternehmensziele, um gute Abstimmung sicherzustellen
Im Grunde: Was immer Ihr tut, es muss darauf ausgerichtet sein, das Unternehmen erfolgreich(er) zu machen und Wert zu stiften. Ansonsten schafft man kein Momentum, um Kultur zu beeinflussen. - Vergesst „Agile“
Baut nicht auf Euer „Agile Einführungs-Team“, „Agile Initiative“ auf. Das sind nur Stichworte, die verschleiern, was wirklich geändert werden muss: - Fokussiert Euch auf Kultur
Das ist es. Verhaltensmuster müssen sich ändern. Die Summe aller Verhaltensmuster im Unternehmen formt Unternehmenskultur. - Wir brauchen Machen und Sein
- Fokussiert Euch auf ein gesundes Arbeitsumfeld und Organisationsklima
- Benutzt das Sahota Culture Model um Bewusstsein zu schaffen
- Tappt nicht in die Falle, Euch auf Strukturen zu konzentrieren
Strukturen können die Veränderung nur unterstützen, aber Strukturen allein können die Veränderung nicht bewirken. Nur Verhaltensweisen, die Kultur beeinflussen, bringen Veränderung. - Erstellt eine Kulturblase (und spielt langfristig)
Z.B. ein großartiges Team, das sich engagiert und deren Begeisterung auf die nahe Umgebung überspringt: - Habt Adapter, um gesund zu bleiben
Früher oder später werden die Leute im Arbeitsumfeld (Adapter) Eures großartigen Teams lernen, wie Ihr arbeitet und werden manche Verhaltensmuster übernehmen. Das ist der Moment, in dem Eure Kultur anfängt, sich auszubreiten. - Verändert das Verhalten von Führungskräften, um Kultur zu verändern
Wenn die Veränderung angewandt wird (und nicht nur „unterstützt“) und zwar sowohl von oben nach unten als auch von unten nach oben, steigen die Erfolgschancen.
Agile Kultur: Die Herausforderung Nummer 1 für Führungskräfte – Sabine Canditt, Rickard Jones
Bessere Führungskräfte
Der beste Teil dieser Session war meine Unterhaltung mit Andrew Williams (ich hoffe, das ist der Richtige…) über „physische Retrospektiven“. Ihr kennt das vielleicht aus Eisbrecher-Spielen für Meetings: Fragt eine Gruppe, wie reibungslos z.B. ihr Release-Prozess abläuft. Eine Ecke des Raumes steht für “fantastisch, kontinuierliches Deployment mit 100% automatischer Testabdeckung” während die andere Ecke für einen „Haufen manueller Arbeit voller nerviger Ärgernisse, keine Automatisierung und grob gehackte Scripts“ steht. Die Gruppe reiht sich dann auf, je nachdem wie sie die Situation einschätzen.
Wir sprachen darüber, wie man den Raum genauso gut nutzen könnte, um Gedanken und Gefühle über Teamstrukturen und Zusammenarbeit auszudrücken. Eine gute Variante um von Gruppenbewusstsein zu Selbstwahrnehmung zu kommen.
Sonstiges Fazit dieses Konferenzbeitrags:
- Wenn man Workshops veranstaltet – bereitet alles akribisch vor
- Wenn man Workshops mit jemand anderem zu zweit (oder mehreren) veranstaltet – einigt Euch explizit, wer wann was sagt, besonders dann, wenn es darum geht, den Teilnehmern Aufgaben zu geben
Leider war diese Session die am niedrigsten bewertete derer, die ich besucht habe. Sabine und Rickard haben ein interessantes Thema gewählt und damit ein großes Publikum angezogen: Der Raum war fast überfüllt. Die Lernziele laut Agenda (Punkte 1-4 unten) stimmten leider überhaupt nicht mit dem überein, was am Ende erreicht wurde (Kommentare unter jedem Punkt):
- Erklärung agiler Kultur anhand von Charakteristiken […]
— Der sanfte Einstieg, interessant für Einsteiger - Untersucht die Kultur Eures Unternehmens, in dem Ihr ungeschriebene Regeln, Verhaltensweisen, Gewohnheiten, Prozesse und Strukturen mit den Werten und Prinzipien vergleicht
— Hier sollte jeder Tisch (!) die Werte des eigenen Unternehmens aufschreiben. Wir und die meisten anderen haben das getan und eine ausgewählte wurden aufgerufen und auf der Bühne am Flipchart notiert. - Erfahrt mehr über Eure Rolle als Treiber der Veränderung hin zu einer agileren Kultur
— Das war das erste mal, dass wir nicht mal gemerkt haben, dass unser Tisch eine Aufgabe hatte. Dann, immer noch unklar darüber was genau zu tun war (!), haben wir und die Tische um uns herum einfach unsere Probleme weiter diskutiert und im Grunde da weiter gemacht, wo wir bei Punkt 2 aufgehört hatten. - Entdeckt Wege, das gesamte Unternehmen nachhaltig einzubeziehen durch erlernen und üben systemorientierter Werkzeuge, hauptsächlich aus ORSC™ (Organization and Relationship Systems Coaching).
— Während ich diesen Blogpost schreibe, lese ich davon zum ersten mal. Vermutlich ist das allerdings meine eigene Schuld, da ich an diesem Punkt mental bereits aus der Session ausgecheckt hatte.
ING’s leaders, what were they willing to give up? – Leonoor Koomen
Bessere Führungskräfte
Dieser Beitrag hat Mut gemacht: Eine eindrucksvolle Fallstudie von INGs kultureller Veränderung. Am meisten im Gedächtnis geblieben ist mir die Tatsache, dass ING Wände und Decken eingerissen hat, um Durchgänge und Treppen zu schaffen, so dass Menschen wieder näher beieinander arbeiten, Wege kürzer sind, so dass persönliche Kommunikation (Gespräche!) häufiger Emails ersetzen.
Es gibt von mir keine Notizen dieser Session, aber die zwei Kernpunkte der Präsentation sind folgende:
1. Führungskräfte sind zuständig für Problemlösung
2. Obeya Räume schaffen Transparenz
Obeya Rooms sind super spannend: Überraschend eigentlich, wie wenige Unternehmen nur einen Raum ihrer wertvollen Bürofläche opfern, um dieses hohe Niveau an Abstimmung zu erreichen. Alles ist an einem Ort:
- Veränderungswand – für all den großen Kram, der aufeinander abgestimmt werden muss. Ein Ort, um Vision, Strategie und Ziele abzubilden (High Level)
-
Ausführungswand – für „Work-in-Progress“, alles was gerade passiert (Mid Level)
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Leistungswand – um auf dem Laufenden zu bleiben, was Zahlen (KPIs) angeht (Low Level)
- Verbesserungswand – für unternehmensweite kontinuierliche Verbesserung
Hier mehr darüber: https://luis-goncalves.com/obeya-practice-scrum/
Teal, ist es Zeit, Unternehmen neu zu erfinden? – Tobias Mayer, Antoinette Coetzee, Simon Powers
Fishbowl (mehr über diese Diskussionsmethode)
Eine meiner Meinung nach eher weniger mitreißende Diskussion über ein super interessantes Thema. Vermutlich lag es daran, dass alle sich einig waren, was dazu führte, dass die Diskussion überhaupt nicht kontrovers war. Die Übereinstimmung bestand darin, dass Unternehmen (die nachhaltig Erfolg haben wollen) sich darauf fokussieren müssen, „Teal Unternehmen“ zu werden. Dabei handelt es sich um die Anwendung von Spiral Dynamics (über das ich vor einem Jahr geschrieben habe) auf Unternehmen. Im Folgenden eine kurze Übersicht, hier ein guter Artikel zur Einstimmung.
Organisation | Beispiele | Durchbrüche | Leitende Metapher |
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Rot (Impulsiv)Konstante Machtausübung der/des Chef(s), um Truppen in Linie zu halten. Angst ist, was die Organisation zusammen hält. Hochgradig reaktiv, kurzfristiger Fokus. Gedeiht am besten in chaotischen Umgebungen. |
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Bernstein (Konformistisch, anpassend)Hoch formelle Rollen innerhalb einer hierarchischen Pyramide. Kontrolle von oben nach unten (Was und Wie). Stabilität steht über allem, rigorose Prozesse stellen das sicher. Die Zukunft ist Wiederholung der Vergangenheit |
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Orange (Zielerreichung)Das Ziel ist, die Konkurrenz zu schlagen; Profit und Wachstum zu erzeugen. Innovation ist der Schlüssel, um eine führende Marktposition zu halten. Management durch Ziele (Kontrolle des Was, Freiheit im Wie). |
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Grün (Pluralistisch)Innerhalb der klassischen Pyramidenstruktur fokussieren sich grüne Unternehmen auf Kultur und Ermächtigung jedes Einzelnen, um außerordentliche Mitarbeitermotivation zu erlangen. |
Kulturgetriebene Unternehmen (Southwest Airlines, Ben & Jerry’s, …) |
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Blaugrün (Teal, Evolutionär)Der Zweck des Unternehmens ist das leitende Prinzip für Entscheidungsfindung im Unternehmen. Streben nach Ganzheitlichkeit und Gemeinschaft. |
Evolutionäre Unternehmen (FAVI, RHD, Buurtzorg, …) |
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Scaling Scrum – Jeff Sutherland, John McFadyen, …
Fishbowl
Close to closure. Soon time to move further on our journeys. Here is the session with one of the founders of Scrum @jeffsutherland #SGLON18 pic.twitter.com/7j8fjW79t0
— ᴍɪᴋᴇ ʟᴇʙᴇʀ (@michael_leber) October 10, 2018
Jap. Das bin ich. Im fishbowl. Diese Diskussionsrunde brachte Vertreter verschiedener Scrum-Skalierungsmethoden zusammen:
- SAFe (Scaled Agile Framework)
- LeSS (Large Scale Scrum)
- Scrum@Scale
Ich habe so meine eigenenen Gedanken zu Skalierungs-Methoden. Ich war sicher, es würde eine interessante Diskussion werden und wurde nicht enttäuscht: Das fishbowl sprach darüber, wie bestimmte Methoden bestimmte Skalierungsaspekte behandelt, wie z.B. die Abstimmung innerhalb und zwischen Teams, Software-Releases und mehr. Dann kam die Frage aus dem Publikum – an Jeff Sutherland gerichtet – „Welche Methode ist am weitesten verbreitet?“ (oder so ähnlich). Die Unterhaltung hat sofort an Wert verloren, während die Teilnehmer sich um wage Zahlen bemühten, wieviele Unternehmen (also „Kunden von SAFe, LeSS, Scrum@Scale Beratungsunternehmen“) die entsprechenden Methoden einsetzen. Der einzig mögliche Wert dieses Teils könnte sein, die größe der Community zu bestimmen, die man um Unterstützung bitten könnte.
Meinen Zorn darüber wie man nur die Zeit so vieler Anwesender verschwenden kann herunterschluckend, dachte ich darüber nach, was ich zum Thema Skalierung zu sagen habe. Dann nahm ich mein Herz in die Hand und ging ins fishbowl. Nicht, um eine Frage zu stellen, sondern um die Diskussion weg vom Größenvergleich und hin zum Wesentlichen zu bringen:
- Scrum funktioniert, weil seine atomaren Bestandteile auf psychologischen Fakten beruhen.
- Wenn Ihr skaliert: Basiert Euren Ansatz auf dieselben psychologischen Prinzipien, skaliert die einzelnen Bestandteile und Ihr werdet erfolgreich sein.
- Ansonsten, wenn Ihr nur blind einer Methode folgt, ohne die kulturellen Grundlagen zu schaffen, scheitert Ihr.
Dieser Beitrag wurde sehr begrüßt und endlich konnten wir weiter über genau diese atomaren Bestandteile von Scrum sprechen (Mut, Fokus, Hingabe, Respekt, Offenheit).
Auftrag ausgeführt!
Nach langen, anstrengenden, aber motivierenden und inspirierenden vier Konfernztagen (drei Tage SGLON18 und ein Tag CSP Coaching Retreat), flog ich nach Hause. Das ExCeL London, noch von der Startbahn zu sehen, war ein schöner Abschied.