Abschlussrede: Lyssa Adkins – Wir sind die Anführer auf die wir gewartet haben
Lyssa Adkins ist sicherlich eine dieser Anführerinnen! Ich bekomme nach wie vor (im positiven Sinne) Gänsehaut beim Gedanken an ihre Abschlussrede.
Schon der Aufbau der Rede war mustergültig: Sehr persönlicher Einstieg, der sofort fesselt. Es ging um eine Reise nach Peru und die offensichtlichen disaströsen Umweltveränderungen, die wir Menschen verursachen.
Sie bemerkte, wie unfähig wir als Spezies sind, globale Herausforderungen anzugehen. So spannte sie den Bogen zu Menschen, die in Unternehmen zusammenarbeiten.
So kamen wir unweigerlich zu der Frage:
Wenn „Individuen und Interaktionen“ so wichtig sind, warum schmeißen dann so oft „Prozesse und Tools“ den Laden?
Wir lernten die Grundlagen der Integralen Theorie, fokussierten uns dann auf den Wir Quadrant und sind anschließend tiefer ins Thema Beziehungen eingestiegen. Warum kommt es eigentlich zu Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen? So kamen wir auf „Die dritte Entität“:
Der nächste Schritt brauchte uns auf Spiral Dynamics. Dieser psychologische Ansatz bedeutet “verstehen von Weltanschauungen und Denkweisen von Individuen, Organisationen und Gesellschaften” und ich denke es ist ein inspirierender und optimistischer Blick in die Zukunft der Menschheit:
Aber was hat das alles mit uns zu tun? Mit Dir und mir? Was hat das zu bedeuten? Es bedeutet alles!
Jeder hat das Potenzial (!), die Welt zum Besseren zu verändern. Macht mag unterschiedlich sein. Fähigkeiten mögen unterschiedlich sein, aber beides sind nur Bezugsrahmen. Letztendlich läuft es auf eine Frage hinaus:
Willst Du die Welt zu einem besseren Ort machen?
Lyssa Adkins hat daraufhin elegant den Rahmen verengt von dieser globalen Perspektive hin zur Gruppe der paar hundert anwesenden Agile Coaches, ScrumMasters, Softwareentwickler indem sie fragte:
In welchem Bereich, der Eurer würdig ist, möchtet ihr agile Methoden anwenden?
Wir haben dann https://pollev.com/ genutzt, um per Live-Umfrage eine word cloud zu erstellen mit den Bereichen, in denen sich die Zuhörer gern engagieren würden. Das Ergebnis sah ungefähr so aus:
Schon vor dieser Session war ich entschlossen, Agile in Nicht-Softwareentwicklungsumgebungen anzuwenden. Ich bin in Kontakt mit einem gut vernetzten Kollegen, der bereits mit Schulen und Universitäten in Deutschland zum Thema EduScrum spricht. Lyssa Adkins’ Abschlussrede hat einmal mehr unterstrichen, wie wichtig es ist, die Welt um uns herum zu verbessern und nicht nur den Ort, den wir „Arbeit“ nennen.
Wer mich kennt wird mich nicht als sehr risikoaffinen Typen beschreiben. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass ich mein erstes Global Scrum Gathering auf vertrautem Grund besucht habe: In Dublin! Ich habe in Irland gelebt, hier mit Fotografie angefangen und riesenviel Spaß mit den Leuten von Each&Other gehabt. Eine weitere Reise auf die Grüne Insel war sehr vielversprechend und brachte mir tolle Ideen und viel Inspiration. Wenn Ihr nicht viel Zeit habt: Lest wenigstens den Teil zur bei weitem beeindruckendsten Abschlussrede von Lyssa Adkins.
Vorweg ein paar Fakten über die Konferenz, die ich natürlich schamlos aus dem Abschluss-Newsletter der Scrum Alliance kopiert habe:
649 Scrum und Agile Fachleute nahmen teil
40 Länder waren vertreten
Mehr als 100 Teilnehmer nahmen an der ersten Trainers Clinic teil
Mehr als 250 Teilnehmer nahmen an der ersten Coaches Clinic teil
Hier zu den Details der einzelnen Sessions oder um genau zu sein, zu denen, bei denen ich mitgeschrieben habe oder die mich besonders beeindruckt haben. Außer für die Eröffnungs- und Abschlussrede folge ich hier keiner zeitlichen Reihenfolge, sondern habe die Abschnitte so angeordnet, wie ich denke, dass sie in den Projektlebenszyklus passen.
Wer auf einer Konferenz über Coaching langweilige Reden erwartet, sollte sich darauf vorbereiten, überrascht zu werden! Tobias Mayer hat die Messlatte hoch gehängt mit einer inspirierenden und vor allem interaktiven Session über Werte. Ich würde sagen, das Minimalprodukt einer Eröffnungsrede (das Ergebnis) sollten engagierte und begeisterte Teilnehmer sein, die sich auf die beginnende Konferenz freuen. Tobias Mayer hat so viel mehr geschafft. In seiner Session haben wir:
für jeden einzelnen Teilnehmer Werte definiert, die die Konferenz prägen sollten
(mindestens) einen menschlichen Kontakt hergestellt, der über die nächsten Tage zu einem guten Bekannten werden sollte
eine Absichtserklärung für die Zusammenkunft formuliert
Meine beinhaltete Bestimmung, Leidenschaft und Glaubwürdigkeit. Bestimmung hat dafür gesorgt, dass ich – egal wie müde – zu Sessions gegangen bin (und manch simple Einleitung ertragen musste), Leidenschaft hat zu aktiver Beteiligung geführt wo immer das möglich war und Glaubwürdigkeit sorgte dafür, dass ich selbst in dieser hochprofessionellen Umgebung stets ich selbst geblieben bin.
Nicht nur der Inhalt war großartig – die Methode war es ebenso! Ich werde darauf mal im Detail eingehen, sobald ich das ausprobiert habe. Versprochen!
Projektbeginn oder Produktentstehung
Entgegen der weit verbreiteten Annahme heißt agiles Arbeiten nicht, dass wir nicht planen. Wir planen. Wir bereiten vor. Ohne grobes Backlog würde ich nie ein Projekt anfangen. Ohne dieses Backlog mit Interessenvertretern, Führungskräften und natürlich dem Team zu verfeinern, würde ich nie mit der Entwicklung beginnen. In dieser „Phase“ gibt es also jede Menge Interaktion und mit Sicherheit sollte sie hier am intensivsten sein.
Schon lange wollte ich mal Roman Pichler sehen, da er einer der ersten war, der – durch seine Bücher – meine Begeisterung für Agile geweckt hat. Während ich meine Diplomarbeit geschrieben hatte, habe ich sein Buch „Scrum – Agiles Projektmanagement erfolgreich einsetzen“ regelrecht verschlungen. Leider ist es nur auf Deutsch erhältlich, aber selbst nach Dutzenden anderen Büchern über das Thema, bleibt dieses mein persönlicher Favorit, dank seines Detailreichtums und der anspruchsvollen und doch verständlichen Erklärungen.
Während dieses Scrum Gathering hielt Roman Pichler eine Session über die Product Owner Rolle. Er forderte „großeProduct Owners“, die ein Produkt prägen können, von der ersten Vision bis zum kleinen Button, anstatt „kleiner Product Owners“, die im Grunde nur Sachen ins Produkt Backlog packen, die ihnen gesagt werden. Das ist, wie die Rolle gelebt, gefüllt, ja erfüllt werden sollte.
Unterm Strich hat er alle Teilnehmer aufgefordert, groß zu denken. Er tat das nicht, ohne auch Unterstützung anzubieten in Form einfacher Werkzeuge: Das Produktvisions-Board. Roman hat die einzelnen, leicht verständlichen Abschnitte erklärt und hervorgehoben, wie wichtig es ist, diese in gemeinsamer Arbeit von Product Owner und Interessenvertretern zu erarbeiten. Dabei ist der PO stets federführend.
Produkt Roadmapping das funktioniert! – Jason Tanner
Effektiv mit Kunden zusammenarbeiten
Jason hat eine gute Präsentation über Produkt Roadmapping gegeben (hier die zwei bestenLinks, die ich finden konnte). Die Teilnehmer, mich eingeschlossen, hatten gemischte Gefühle. Das Folgende ist der Konsens aus Diskussionen mit einigen Teilnehmern nach der Session:
Eine solche Roadmap zu haben schadet nicht. Solange sie gemeinschaftlich von allen Stakeholdern und Team-Vertretern erarbeitet wird, kann diese Übung wichtig und nützlich sein. Nichtsdestotrotz bleibt so eine Roadmap ein Artefakt, das sich nur dann mit dem Unternehmen evolutionär entwickelt, wenn Leute es benutzen und damit arbeiten. Ansonsten wird es immer entkoppelt sein von der täglichen Arbeitsrealität der Mitarbeiter.
Wenn es uns gelingt, die Denkweise eines Unternehmens so zu verändern, dass agile Verhaltensweisen und Werte über alle Hierarchieebenen gelebt werden, dann werden wir eine solche Roadmap nicht brauchen. Stattdessen hätten wir ein Firmen-Backlog, das unsere Pläne abbildet. Beschlüsse „von oben“ werden sich in der täglichen Arbeitsweise von Teams wieder finden, während Aktualisierung und Veränderung „von unten“ sich im Firmen-Backlog widerspiegeln.
Trotz aller Kritik werde ich diese Übung demnächst ausprobieren, denn sie kann ein guter Schritt sein auf dem Weg von wenig bis keiner Organisation zu angemessener übergeordneter Organisation.
Das Projekt/Produkt entwickeln aka Arbeiten mit dem Team
Finde Dein Traum Team durch Selbstselektion – Dana Pylayeva
Die Essenz von Agilität
In der teils Präsentation teils interaktiven Session hat Dana Pylayeva sowohl über die Voraussetzungen von Team-Selbstselektion gesprochen, als auch einen solchen Prozess mit uns, den Teilnehmern, simuliert.
Häufige Argumente gegen Selbstselektion:
Es wird nicht möglich sein, alle Teams mit den benötigten Fähigkeiten auszustatten
Leuten werden sich niemals selbst organisieren können
Das wird doch zu endlosen Diskussionen führen
Es gibt Leute, die können nicht miteinander (arbeiten) und sollten daher nicht in einem Team sein
Mit den folgenden Schritten können diese Vorurteile überwunden werden:
Bereite Dich selbst vor
Lerne die Methode, vernetze Dich im Unternehmen, verkaufe den Ansatz
Bereite das Management vor
Geh auf ihre Probleme ein, mach einen Probelauf
Bereite den Prozess vor
Arbeite mit den Team-Vertretern um den Prozess zu fein-justieren
Definier die Teilnehmerliste
Bereite die Teilnehmer vor
Erstelle die individuellen Teilnehmerkarten
Veranstalte Frage+Antwort Session, triff Teilnehmer einzeln, gehe auf Sorgen und Ängste ein
Bereite den Raum vor
Groß genug für separate Bereiche
Bereite Poster und Material vor
Essen und Getränke (offensichtlich!)
Das Highlight: Wir haben das während dieser Session ausprobiert. Ja, es ist möglich, in einer Gruppe von 40 Leuten jedem seinen Wunsch zu erfüllen. Gleichzeitig konnten alle Teams (in unserem Fall Büros rund um den Globus: Zürich, Dublin, Kyoto, New York, Kapstadt) mit allen erforderlichen Fähigkeiten besetzt werden, um die Projekte zu bearbeiten. Bei 40 Leuten mussten wir nur drei mal vermitteln, so dass Teilnehmer freiwillig ihren Zweitwunsch gewählt haben!
Konflikt? Probier’s mal mit Perspektivwechsel – J. and T. De Jastrzebiec Wykowski
Effektiv mit Kunden zusammenarbeiten
In dieser sicherlich unterschätzten Session (ich war überrascht, dass nur ca. 40 Leute da waren) haben uns Justina andTomasz De Jastrzebiec Wykowski nicht nur erzählt, sondern demonstriert, wie wirksam es sein kann, sich in jemanden hineinzuversetzen.
Der Ansatz klang sehr einfach und offensichtlich, wenn wir von Konfliktlösung sprechen. Es erfordert allerdings ein wenig Organisation, idealerweise von einer dritten, neutralen Partei und ist schwieriger aber auch machtvoller als ich erwartet hätte.
Justina and Tomasz haben jede Gruppe in drei Rollen aufgeteilt: Entwicklerteam, Product Owner und Kunden. Jede Teilgruppe bekam ein Szenario, aus dem wir Teilnehmer schnell die Hauptziele unserer Teilgruppe ableiten konnten. Wir haben dann (mit realistischer Leidenschaft) unser Problem dargestellt. Dann haben wir durch die anderen Rollen rotiert und uns in sie hineinversetzt, bis uns klar wurde:
Sich in jemand anderes hineinzuversetzen ist schwerer als gedacht
Zu überlegen, was wir von den anderen Projektrollen erwarten (darunter unser eigentliches Selbst) hat zu tiefgreifendem Verständnis geführt, was die Frustration unserer Gegenüber anging und
hat viele Ideen zutage gebracht, wie wir besser zusammen arbeiten können
Das kann für jede Gruppe simuliert werden in der es Konflikte gibt uns sogar für Gruppen mit noch mehr Konfliktparteien. In dem Fall braucht es natürlich mehr Zeit. Alles in Allem: Eine sehr gute Methode für (Agile) Coaches.
Fragiles Agiles: Ein erschöpftes Team coachen – Anna Obukhova
Die Essenz von Agilität
Auf der Liste der Sessions fand ich diese besonders interessant. Denn wann holen sich Unternehmen Hilfe? Von ScrumMastern, Agile Coaches, nennt es wie ihr wollt? Genau: Die meisten holen sich erst dann Hilfe, wenn Manager erfahren haben, dass etwas falsch läuft.
Leider haben dann schon viele Teams „das was falsch läuft“ schon eine lange Zeit ertragen müssen. Manchmal haben Teammitglieder schon versucht, etwas an der Situation zu verändern. Mal mit mehr mal mit weniger Erfolg. Das bedeutet, dass „Ein erschöpftes Team coachen“ eher die Regel denn die Ausnahme ist. Darum habe ich an Anna Obukhova’s Session teilgenommen um auch in diesem Bereich ein bisschen was zu lernen.
Überraschenderweise war die Präsentation zu ~70% auf Symptome fokussiert, angereichert mit ein bisschen Interaktion mit dem Publikum und Selbsteinschätzungen. Am Ende habe ich nicht viel brauchbare Hilfe erfahren und daher die Session mit ★★★☆☆ (3/5 Sternen) bewertet. Obwohl die Session so drastisch von meinen Erwartungen abgewichen war, habe ich doch ein paar Verweise auf weiterführende Literatur bekommen und meine Wahrnehmung für erschöpfte Teams geschärft. Hier mal die Mitschrift für mehr Details:
Links zu den Ressourcen, die in der Rede erwähnt wurden:
APGAR – ein schneller Selbsttest um Symptome zu identifizieren
The Upward Spiral – ein inspirierendes Buch darüber, wie man der Abwärtsspirale entkommt
Einige Sessions widmeten sich nicht agilen Praktiken sondern eher organisatorischen Veränderungen. Zwei davon habe ich besucht:
Überraschung! Führungskräfte coachen ist ANDERS als Teams coachen – Bob Galen
Eine Agile Organisation schaffen
Robert “Bob” Galen hat uns in dieser inspirierenden Session ein paar Prinzipien des Führungskräfte-Coachings nähergebracht. Es war nicht unbedingt der Teil mit dem innovativsten Inhalt, aber es hat unheimlich viel Spaß gemacht, Bob zuzuschauen und zuzuhören. Zum Abschluss gab es eine sehr praktische Management-coaching Übung in Gruppen von drei Leuten, die nicht nur erkenntnisreich war, sondern auch zu vielen Diskussionen in der Pause geführt hat.
Der Schlüssel zu nachhaltiger Agilität im Unternehmen – Kurt Nielsen
Eine Agile Organisation schaffen
Kurt Nielsen from AgileLeanHouse hielt eine Präsentation über anhaltende (und nachhaltige) Agilität im Unternehmen. Nicht überraschend, dass der Schlüssel dazu in agilen / lean Denkweisen liegt. Darüber hinaus spielt die Akzeptanz der zugrunde liegenden Werte durch die Führungsriege des Unternehmens eine fundamentale Rolle.
Eine Übersicht, der Themen der Präsentation und seiner Trainings, findet ihr hier.
Unterm Strich: Selten war ich in so kurzer Zeit so inspiriert. Am Global Scrum Gathering Dublin teilzunehmen war großartig: Viel Spaß, viel gelernt und viele interessante Menschen kennen gelernt. Definitiv war es den monetären (ROI) und zeitlichen (ROTI) Aufwand wert!
Fragen? Anmerkungen, Kommentare? Direkt hier drunter ist Platz dafür! Wir sehen uns spätestens London 2018!